Wir sind alle für unsere EU mitverantwortlich

Veröffentlichungsdatum10.09.2015Lesedauer9 MinutenKategorienAllgemeine News, Kardinal König-Gespräche
Wir sind alle für unsere EU mitverantwortlich

Diesjähriges Kardinal-König-Gespräch am 29. August 2015 in Kirchberg an der Pielach war dem Thema „Europa – wozu?“ gewidmet.
Mit dabei waren
waren Kirchbergs Bürgermeister Anton Gonaus, Dirndlkönigin Kathrin Patscheider, Abt Columban Luser, Vizepräsident des Europäischen Parlaments Mag. Othmar Karas, Prof. Heinz Nußbaumer, Dr. Annemarie Fenzl, Kardinal König-Vereinsobmann Gottfried Auer, Rabensteins Bürgermeister Ing. Kurt Wittmann, Dirndlprinzessin Jacqueline Kendler und Kirchbergs Pfarrer August Blazic.

Text:   Prof. Erich Leitenberger & Gottfried Auer
Fotos: Mag. Wolfgang Zarl & Gerhard Hackner

KKG 150829 - Karas 01 - Gerhard Hackner.jpgFür eine Besinnung auf die Europa-Konzeption von Kardinal Franz König plädierte der Vizepräsident des Europäischen Parlaments (EP), Othmar Karas, in seinem Referat.
Karas zitierte die Aussage Kardinal Königs, dass Europa weit mehr sei als die Institution der EU. Der 2004 verstorbene langjährige Wiener Erzbischof habe den Kontinent vom „gemeinsamen historischen Schicksal“ und von der Prägung des „geistigen Antlitzes“ durch den christlichen Glauben geformt gesehen. Zugleich habe König immer die Vielfalt als bestimmendes Element Europas betont.

KKG 150829 - Publikum 01 - Gerhard Hackner.jpgFrieden, Freiheit, Demokratie müssten täglich neu errungen werden, unterstrich der EP-Vizepräsident. In der öffentlichen Diskussion über die EU habe man oft den Eindruck, dass vergessen werde, wo Europa vor 70 Jahren – 1945 – stand. Kardinal König habe zu Recht die „Rückkehr nach Europa“ nach den Verirrungen des 20. Jahrhunderts als „schmerzlichen und langwierigen Prozess“ beschrieben.

 

 

 

KKG 150829 - Publikum 05 - Wolfgang Zarl.jpg Die EU habe sich als Projekt zur Überwindung der gewaltsamen Teilung Europas bewährt. Im Sinn von Papst Johannes Paul II. gehe es darum, dass Europa lerne, wieder mit beiden Lungenflügeln – dem östlichen und dem westlichen – zu atmen.

Die EU sei aber auch die notwendige Antwort auf die Globalisierung, stellte Karas fest.  Um in der künftigen „kontinentalen Auseinandersetzung“ bestehen zu können, müssten die Kräfte Europas gebündelt und der Nationalismus endgültig überwunden werden.

 

KKG 150829 - Publikum 02 - Gerhard Hackner.jpgKardinal König habe zu Recht immer wieder dafür plädiert, „aus der Geschichte zu lernen“.  Der EP-Vizepräsident plädierte für mehr „Mut zur Wahrheit“, dem Nationalismus und Populismus müsse der Boden entzogen werden. In diesem Zusammenhang erinnerte Karas daran, dass Österreich für jeden Euro „Mitgliedsbeitrag“ an die EU drei Euros an Förderungen zurückbekomme. Viele Projekte gerade in Niederösterreich – etwa der Hochwasserschutz oder die Revitalisierung der Marchfeldschlösser – wäre ohne diese Förderung nicht möglich gewesen.

Auf dem „Bauplatz Europa“ sei noch viel zu tun, unterstrich Karas. Es gebe keine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik, es gebe keine europäische Steuerkompetenz – und daher zum Beispiel auch keine „Transaktionssteuer“ -, keine Energieunion  usw. Vielfach fehle es noch am „gemeinsamen Wollen“. Das gelte auch für den dramatischen Problembereich Asyl, Migration, Integration.  In diesem Zusammenhang stellte der EP-Vizepräsident klar, dass die EU nur dann Probleme lösen könne, wenn ihr „Kompetenzen und Mittel“ eingeräumt werden. Wörtlich sagte Karas: „Die EU ist kein Zentralstaat, die Europäische Union sind wir“. Man könne nicht „Brüssel“ verantwortlich machen, es gebe keine europäische Kompetenz, der Österreich – ebenso wie alle anderen Mitgliedsstaaten – nicht zugestimmt habe. Die Frage „Europa – wozu?“ sei daher „eine Frage an uns selbst, eine Frage über unsere Zukunft“. Jeder sei Teil des Projekts und darum auch mitverantwortlich.

Europa werde laut Karas durch konkrete Tatsachen und durch Gestaltungswillen wachsen und gedeihen. Vieles könne kein Staat alleine bewältigen, egal wie groß, reich und stark er sei, es brauche Solidarität im Kleinen und Großen. Eine handlungsfähige EU müsse dies managen, weil man immer eine Plattform und einen Motor brauche, der sich um diese Probleme kümmere; Europa sei mehr als ein Kontinent, vielmehr sei es eine Idee und Existenzfrage, gespeist aus den Erfahrungen der Geschichte und dem Weitblick von Männern und Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg. Niederösterreich habe am meisten unter der Teilung Europas gelitten, da es die lange Grenze zum ehemaligen Ostblock gegeben habe. Sei diese Region ehemals am Rande gelegen, liege sie nun in der Mitte und sei jetzt eine Region der Chancen, die massiv von der EU profitiere. 

Karas bedauerte, dass viele Menschen heute von der Politik ein „irdisches Paradies ohne Gottesbezug“ erwarten, dass sich eine Gesellschaft herausbilde, in der „das ‚ich‘ wichtiger ist als das ‚du‘“. Im Sinn von Kardinal König könne man die Frage stellen, wie es um den Respekt vor der Würde jedes Menschen stehe, wo die Nächstenliebe bleibe.

KKG 150829 - Luser-Fenzl.jpg„Ein Kämpfer für Europa“

Als „Kämpfer für Europa“ schilderte die Leiterin des Kardinal-König-Archivs, Dr. Annemarie Fenzl, den einstigen Wiener Erzbischof. Vieles, was Kardinal König angesprochen habe, sei heute von „beängstigender Aktualität“, wie das Nietzsche-Zitat, das er 1998 bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele in Erinnerung rief: „Das Eis, das heute noch trägt, ist schon sehr dünn geworden: der Tauwind weht, wir selbst, wir Heimatlosen, sind Etwas, das Eis und andre allzudünne ‚Realitäten‘ aufbricht“.

 

 

KKG 150829 - Publikum 04 - Gerhard Hackner.jpgAnnemarie Fenzl erinnerte aber auch daran, wie Kardinal König im September 1983 – sechs Jahre vor der „Wende“ – bei der Europa-Vesper auf dem Heldenplatz mit Papst Johannes Paul II. betonte, dass Österreich ein Land sei, „wo man von Europa sprechen kann und sprechen soll“. König habe stets herausgearbeitet, dass Vielfalt nichts Beängstigendes, sondern etwas Bereicherndes ist.

 

 

 

Bei der Friedensvesper im Stephansdom 2003 habe der Kardinal gesagt, dass 1989 zwar die physischen Mauern gefallen seien, dass es aber „viel Fingerspitzengefühl und Geduld“ brauchen werde, bis auch die Mauern in den Köpfen zum Einsturz kommen. Der Mitteleuropäische Katholikentag, den er noch gern miterlebt hätte, sei für König ein „Meilenstein“ auf dem Weg zum gemeinsamen Ziel gewesen, „in notwendiger Einheit und möglicher Vielfalt“ auf dem Bauplatz Europa Verantwortung zu übernehmen.

KKG 150829 - Publikum 03 - Gerhard Hackner.jpgVon früher Jugend an sei Franz König – der aus der Heimat, auch dem heimatlichen Pielachtal, viel Kraft bezogen habe – zugleich „neugierig“ gewesen, auf Menschen anderer Sprache, anderer Religion, anderer Mentalität. Und es sei symptomatisch, dass sein letzter öffentlicher Auftritt am 18. Februar 2004 der Entgegennahme eines Ehrendoktorats der rumänischen Universität Cluj-Napoca galt, betonte Annemarie Fenzl: „Kardinal König setzte auf grenzüberschreitende Verbindungen in Europa durch ein ökumenisch weites Christentum“.

KKG 150829 - Nussbaumer - Wolfgang Zarl.jpg„Mehr als ein Wirtschaftsraum“

Der Vizepräsident der Kardinal-König-Stiftung und Moderator des Abends, Prof. Heinz Nußbaumer, verwies darauf, dass für Kardinal König Brückenbau und Versöhnung der große Auftrag waren. Man müsse aber auch die Rolle des Kardinals beim Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs sehen, König habe die „Rostlöcher“ des Eisernen Vorhangs durch seine vielen Reisen zu den Kirchen der damals kommunistisch beherrschten Länder ständig erweitert. Europa war für König mehr als ein politisch-wirtschaftlicher Großraum. Er sei überzeugt gewesen, dass Europa „etwas wie eine Seele braucht“, die nicht ohne Religion wachsen kann. Und er habe zugleich gewollt, dass aus der Wirtschafts- und Rechtsgemeinschaft eine „überzeugende Sozial- und Verantwortungsgemeinschaft“ wächst.

 

 

 

KKG 150829 - Diskussion 01 - Wolfgang Zarl.jpgOhne die Errungenschaft der Trennung von Kirche und Staat in Frage zu stellen, war König überzeugt, dass die Religion und insbesondere das Christentum einen wesentlichen Beitrag zum Wachsen und Werden der europäischen Einheit zu leisen habe, so Nussbaumer. Für ihn sei es auch kein Zufall gewesen, dass die Gründungsväter der europäischen Einheit „leidenschaftliche Christen“ waren, wobei es aber keine „Bruchlinie zur Welt der Nichtglaubenden“ gegeben habe.

 

KKG 150829 - Gonaus - Gerhard Hackner.jpg„Stärkung des ländlichen Raums“

Der Bürgermeister von Kirchberg an der Pielach, ÖkRat Anton Gonaus, schilderte beim Kardinal-König-Gespräch, wie es im Pielachtal gelang, mit Hilfe der Förderungen der EU ein regionales Entwicklungskonzept zu erarbeiten und eine neue gemeinsame Identität als „Dirndl-Tal“ zu schaffen. In den Jahren von 1994 bis 2000 seien 30 Projekte durchgeführt worden. Die Gemeinden des Pielachtales hätten gemeinsam gearbeitet und die Möglichkeiten genützt, die von der Europäischen Union zur Stärkung des ländlichen Raums geboten werden.

 

Unter anderem erinnerte der Obmann der LEADER-Region Mostviertel-Mitte auch an die Revitalisierung der Mariazeller Bahn mit dem neuen Betriebsbahnhof Laubenbachmühle, der 90 Arbeitsplätze biete und derzeit Schauplatz der NÖ Landesausstellung 2015 ist.

Das Erfolgsbeispiel Pielachtal sei aus Eigeninitiative, Bereitschaft zur überörtlichen Zusammenarbeit und materieller Unterstützung gewachsen. „Ohne EU-Programm wäre es nicht möglich gewesen“, betonte der Regionalpolitiker: „Glauben wir an Europa“.

 

KKG 150829 - Kirche 01 - Gerhard Hackner.jpg„Tiefe gute Wurzeln“

Bei der Messfeier vor dem Kardinal-König-Gespräch hatte der Abt von Göttweig, P. Columban Luser, betont, dass Europa „tiefe gute Wurzeln“ braucht, „innere Stärke, Festigkeit, Weitblick“. Wenn die Menschenwürde  erhalten bleiben soll, dann dürfe Gott nicht aus dem Blickfeld verschwinden. Die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts hätten gezeigt, wie es zur „Abschaffung des Menschen“ kommt.

 

Der Abt plädierte für einen „radikalen Nachdenkprozess“ darüber, aus welchen Wurzeln das Europa von heute lebe. Er habe die Sorge, dass dieses Europa ein Organismus sei, „der sich von seinen christlichen Wurzeln verabschiedet“. „Was ich sehe, nährt meinen Optimismus nicht“, sagte P. Columban wörtlich. Er wünsche sich ein Europa, das wirtschaftlich stark ist, „aber spirituell tief verwurzelt bleibt im Evangelium“.

  

KKG 150829 - Nagy - Gerhard Hackner.jpg

 

 

Unter den rund 150 Besuchern befand sich auch  Thomas J. Nagy, Autor von "König Kaiser Kardinal" - hier im Bild mit Sigrid Gebhardt, der Dame seines Herzens, und mit Gottfried Auer, dem Obmann vom Verein "Kardinal König - Glaube und Heimat im Pielachtal".

 

 

 

 

KKGespraech 2016 mit Kardinal Koenig.jpg 

Seit 2008 sind die Pielachtal-Gemeinden Rabenstein und Kirchberg abwechselnd Schauplatz des Treffens. Franz König wurde am 3. August 1905 im Rabensteiner Ortsteil Warth geboren und am 5. August in der Rabensteiner Pfarrkirche getauft. Er besuchte die Volksschule in Kirchberg an der Pielach, von wo aus ihn sein Weg in die Weltkirche führte.

 
 

Termin-Vormerkung: Am 27. August 2016 findet das Kardinal König-Gespräch wieder in der Geburtsgemeinde Rabenstein an der Pielach statt.